Der Flächenkonflikt als Schlüssel zur Verkehrswende: Ein integriertes Verkehrskonzept braucht politischen Mut

Kann man 40% der CO2-Emissionen in Hamburg bis 2020 einsparen? Und welchen Beitrag muss der Verkehr liefern? Warum ist die Verdreifachung des Radverkehr der schnellste und für den Steuerzahler günstigste Schlüssel für unser Klimaschutzziele? Und warum wird es immer so herrlich unkonkret, wenn es um Verkehrspolitik geht? Nach meinem Klimaschutz-Gutachten für die Stadt Hamburg von 2009/10 habe ich zwei Dinge verstanden ...

Doch der Reihe nach. Die Geschichte fängt in den nass-kalten, stürmischen Herbstnächten 1997 in einer Hamburger Hafenspelunke an. Damals war ich mit einer der ersten Mitglieder des Hamburger Umweltstammtischs, einer Gruppe von Umweltbeauftragten, die damals noch sehr seltene Spezies in den Unternehmen und Behörden waren. Ich war damals Campaigner bei Greenpeace für Energiesteuern und Wirtschaftspolitik, aber auch Vorsitzender der Vereinigung für ökologische Wirtschaftsforschung. Als Gleichgesinnte tauschten wir uns aus, unterstützten uns gegenseitig und plauschten über Gott und die Welt.

Dass der Umweltstammtisch weiter lebte, nach dem ich von Hamburg wegzog, hatte ich nicht mehr auf dem Radar. Zwischenzeitlich arbeitete ich bei der Deutschen Bahn, lebte in Frankfurt, München und Kiel und wechselte dann zu einer Beratungsfirma nach Hamburg. Schließlich machte ich mich selbständig mit einer ersten Firma Verkehrs Innovations Partner – in Hamburg. Und erfuhrt zufällig, dass es den Hamburger Umweltstammtisch immer noch gab.

So beim letzten Bierchen lernte ich dann Helmut vom arrhenius-Institut für Energie- und Klimapolitik, Visitenkarten waren schnell ausgetauscht. Ein paar Monate später kam ein Anruf, ob ich nicht als Unterauftragnehmer mitarbeiten wolle: bei einem

Basisgutachten zum Masterplan Klimaschutz für Hamburg: Möglichkeiten zur Verringerung der CO2-Emissionen im Rahmen einer Verursacherbilanz“ für die die Behörde für Stadtentwicklung und Umweltschutz der Stadt Hamburg. Klar, dass ich als Verkehrs Innovations Partner dabei sein will.

Und so kam es, dass ich den Bleistift spitze und Excel öffnete. Es galt herauszuarbeiten, wo im Verkehrsbereich anzusetzen sei, wollte man 40% der CO2-Emissionen Hamburgs einsparen. Ziel war es, konkret aufzuzeigen, wie 40% gegenüber 1990 bis 2020 eingespart werden können. Erste Erfolge, Trends und andere Maßnahmen wurden einbezogen, so dass eine Lücke von 1,6 Mio. t CO2 verblieb. 0,4 Mio. t davon sollten durch den Verkehr zu erbringen sein. Unter Berechnung der Anzahl der Fahrten, der Kilometer-Klassen und der Emissionsfaktoren wird für jede Verkehrsart geschaut, wo der wichtigstes Handlungsbedarf liegt und welche Maßnahmen umgesetzt werden sollten.

Dabei entpuppen sich Pkw-Fahrten an 10 km Länge als wichtigster Ansatzpunkt heraus, z.B. die Einpendler aus den Speckgürteln als die Emissionstreiber – sie fahren viel, fahren lange Strecken und häufig allein im Auto. Und hier müssen die Angebote für ein integriertes Verkehrskonzept ansetzen. Tatsächlich entstehend ca. 75 Prozent der CO2-Emissionen in den Kilometerklassen ab 10 km Länge.

Zum Beispiel den ÖPNV- und SPNV ausbauen. Hört sich schlau an, lässt sich aber nicht so schnell realisieren, da mit Lieferfristen, Infrastrukturausweitungen, Enteignungen, Planungsprozessen und Finanzbedarf gerechnet werden muss und oft erst zehn Jahre später der erste neue Zug fährt. Schon heute sind in den Hauptverkehrszeiten die Kapazitäten häufig ausgeschöpft. Abgesehen davon verbrauchen auch Bus und Bahn Strom oder Diesel, so dass auch hier was passieren muss. Bus und Bahn werden kaum alleine zur Lösung des Problems beitragen können. Wer das fordert, sollte nicht nur A, sondern auch anständig B sagen und die Milliarden auf den Tisch legen und dem ÖPNV den Platz und Vorrang auf der Straße geben.

Zum Beispiel mehr Mitfahrer pro Pkw: Ist schlau, es gibt auch erste Startups dazu wie Matchrider oder flinc (damals, heute auch uber & Co), die Mitfahrer dynamisch miteinander vermakeln. Solche dynamic ride sharing oder ride selling-Konzepte könnten mit Public Private Partnerships gefördert werden, wären dann aber sofort Konkurrenten der mächtigen und defizitären städtischen ÖPNV-Betriebe. Im ländlichen Raum übrigens einer der wichtigsten Schlüssel zur Verkehrswende.

Aber zurück zum Konflikt: Konkret müsste verkehrspolitisch Folgendes entschieden werden: Um 100.000 t CO2 einzusparen, müsste ..

  • die Fahrleistung von 50.000 Pkw durch Radverkehr ersetzt werden,
  • 550 Mio. Personenkilometer statt mit dem Pkw mit dem Rad oder zu Fuß zurückgelegt werden
  • oder fast doppelte so viele, nämlich 900 Mio. Personenkilometer statt mit dem Pkw mit dem ÖPNV erfolgen oder
  • 1.400 Mio. Personenkilometer weniger mit Bus und Bahn gefahren werden und dafür geradelt oder zu Fuß gegangen werden

Wer traut sich, wer mag zuerst?

Wie immer man es dreht - der Schlüssel liegt letztlich in der Förderung des Fahrradverkehrs. Dieser funktioniert emissionslos und verschlingt minimale öffentliche Gelder. In der Stadt müssten die heutigen ÖPNV-Nutzer auf den kurzen Strecken aus ihren Bussen und Bahnen gelockt werden, um den Einpendler auf den mittleren und langen Strecken Platz zu machen. Dazu bedarf es attraktiver, sicherer und ausreichender Fahrradinfrastrukturen – und genau hier lauert der Konflikt:

Welcher Politiker traut sich schon, dem Autoverkehr ein paar Quadratmeter Park- und Straßenfläche zu entziehen, um daraus Fahrradwege zu machen? Wenn sich Politiker nicht trauen, Parkplätze in Radwege umzuwandeln, dann ist der Schlüssel für die Verkehrswende der Flächenkonflikt.

Der Ruf nach intelligenten Verkehrskonzepten oder gerne auch integrierten Verkehrskonzept übersieht zu gerne, dass es immer um diese Verlagerungen geht: Den Autofahrern Flächen weg nehmen, um sie den Fußgängern, Radfahren oder dem ÖPNV zu geben. Verkehrsverlagerung bleibt ein technokratischer Hülsenbegriff, Flächenumwidmung trifft den Punkt besser. Dafür braucht es eine klare Strategie und politische Gestaltungskraft.

Hamburg wollte das damals nicht: Alle konkreten Empfehlungen verschwanden, der Flächenkonflikt wurde schon auf der Papier-Ebene nicht ausgetragen. Und damit komme ich zu den zwei Dingen, die ich im Nachgang nach diesem Gutachten verstanden habe:

Schafft man es erstens, politische Energie auf diesen Konflikt zu lenken, kann dieser Tipping Point die Energien für neue Verkehrskonzepte in Bewegung setzen. Der Brennunkt ist jeder Parkplatz, jeder Quadratmeter Fahrspur, der zu Radwegen umgewidmet werden soll. Oder auch einfach nur die Fläche, die längst Fußgänger, Radfahrern oder Fahrgästen von Bus und Bahn zusteht, aber von Autofahrern nicht respektiert wird. Später dann eine Falschparker-App online zu stellen, ist eine Konsequenz dieser Erkenntnis: Sie hilft, die konkreten Flächenkonflikte der Verkehrswende auszutragen. Auch weitere spätere Aktionen wie der Flächengerechtigkeitsreport, diverse Flashmob-Aktionen oder die Petition für höhere Bußgelder für Falschparker zahlen auf diese Flächenkonflikt-Strategie der Initiative Clevere Städte ein.

Zweitens können die gewählten Volksvertreter diesen Flächenkonflikt nicht alleine austragen – sie brauchen die Unterstützung aus der Bevölkerung. Politiker haben über Jahre gelernt, dass sie abgewählt werden, wenn sie ein paar Parkplätze umwidmen. Sollten wir von ihnen erwarten, heroisch gegen ein für sie rationales Verhalten zu erwarten? Ja, können wir, aber bringen tut es nicht viel. Tatsächlich müssen wir für sie oder mit ihnen in diesen Konflikt einstehen und für neue Mehrheiten sorgen. Bislang scheiterte die jahrzehntelange Diskussion um die Verkehrswende genau an diesem Punkt, dem politischen Austragen des Flächenkonflikts. Als ich Jahre später zwei Menschen, Christine Dorn vom Volksentscheid Nachtflugverbot BER und Michael Schneidewind vom Volksentscheid Tempelhofer Feld über das Netzwerk Verantwortung Berlin Leadership kennenlernte, viel mir der Groschen: Der Volksentscheid Fahrrad reifte in meinem Kopf heran. Dazu später mehr.

Abgesehen davon: Was auch immer zur Verkehrswende, zu einem integrierten Verkehrskonzept , einer intelligenter Verknüpfung der Verkehrsträger, New Mobility oder Smart City diskutiert wird – ohne eine deutliche Ausweitung des Radverkehrs und damit der Radinfrastrukturen löst sich das Probleme nicht, sondern kuriert an den Symptomen und lässt wertvolle Zeit zum Handeln verstreichen. Kuscheln gefährdet das 1,5-Grad-Ziel von Berlin.

Das vollständige Klimaschutz-Gutachten kann hier herunter geladen werden: http://www.hamburg.de/bsu/2580042/2010-10-20-bsu-stadt-im-dialog.html

zurück zur vorherigen Seite