Popup-Radwege in die Stadt zaubern
Berlin, Juni 2020. Fünf Demos, ein Toter und Corona haben es möglich gemacht: Sieben Kilometer Popup-Radweg ziehen sich jetzt über die Kantstraße. Seit es sich sicher anfühlt, ist der Radverkehr gefühlt um fast 300% gestiegen, und der Frauenanteil schnellte über die 50%-Marke hoch. Auch in Sachen Lärm, Gestank, Abgase und lebenswerte Stadt gab es nur positive Effekte.
Wieder ein Toter, auf der Kantstraße, die schon lange bekannt ist als Raserstrecke in der Innenstadt. Eine Straße, die ich als Fahrrad-Aktivist häufig mit Angst und Sorgen benutze. Mir reichte es, zusammen mit anderen vom ADFC Berlin und Changing Cities. Denn die Kantstraße ist tatsächlich als eine Straße mit vielen Unfallschwerpunkten bekannt.
Wir starteten mit anderen Aktivistinnen die Guten-Morgen-Berlin-Demo an der Kantstraße. Jeden Montagmorgen um 8:30 – 9.00 Uhr von Anfang Februar bis zur Corona-Lockdown waren wir da, zunächst ein Dutzend und am Schluss knapp 100 Bürger und Radlerinnen. Nach dem Lockdown ging es dann direkt weiter ... bis zur Einweihungsfeier mit der Sekt-Radweg-Taufe :-)
Die Forderungen waren sehr einfach: die Parkspur soll in eine Radspur umgewandelt werden, die illegale Parkspur sollte legalisiert werden und die Fahrspur bleibt Fahrspur. So können allen geholfen, die Sicherheit massiv verbessert und die Kantstraße zu einer attraktiven Straße für ein lebenswerten Bezirk verwandelt werden.
Politiker, die Senatorin, der Staatssekretär, Bürgermeister oder die Verkehrspolitiker wurden höflich und freundlich angeschrieben, nicht mit Anklagen und Forderungen, sondern mit einer charmanten Einladung und charmant-diplomatischen Bitte, aktiv zu werden. Bis Ostern setzen wir eine Frist, an die wir im realen Berlin selbst nicht glaubten, aber überzeugt waren, dass in so kurzer Zeit etwas verändert werden kann. Gedauert hat es dann doch bis Juni, aber nun ist er da, der Pop-Up-Radweg im Western Berlins zusammen mit vielen weiteren Kilometern in Kreuzberg und zunehmend auch anderen Städten im Fahrradland Deutschland.
Tatsächlich zeigt sich aus wissenschaftlichen Untersuchungen von FixMyBerlin, dass dieses Design mit einem Parkspur-geschützten Radweg sehr hohe Sicherheitsgefühlswerte erzielt. Auch in der Befragung vom Volksentscheid Fahrrad, ob man auf diesem oder jenen Radweg sein Kind alleine Fahrrad fahren lassen würden, schnitten diese Parkspur-geschützen Radwege mit den besten Werten ab.
Als dann der Popup-Radwege markiert und die Autofahrer sich dran gewöhnt haben, gab es viele neue Erkenntnisse: Der Radverkehr stieg gefühlt um 260%, der Frauenanteil deutlich über die Marke von 50%, obwohl vorher bestenfalls jeder zehnte Radelnde weiblich war. Es wurde leiser, die Luft wurde besser, die Aufenthaltsqualität erhöhte sich: Die Restaurants konnten die Gehwegfläche mehr für Außentische nutzen, da niemand mehr direkt im „Blech“ saß. Vermutlich werden auf die Feinstaub- und Smog-Werte sinken, da sich bei nur noch einer Spur nun alle an die Geschwindigkeit des langsamsten Autos halten müssen. Leider ist es für die Busse der BVG auch etwas langsamer geworden, aber wer weiß, ob die sich vorher an die 30-km/h-Maximalgeschwindigkeit gehalten hatten.
Und: Illegale Autorennen werden so baulich unmöglich, da es nur noch eine Spur gibt :-)
PS: Erstmals betätigt eine wissenschaftliche Untersuchung das Sicherheitsgefühl von Radwegen: Gefühlt sicherer Radwege sind zwei Meter breit, verlaufen rechts von Parkspuren und sind geschützt, z.B. durch parkende Autos, durch Pflanzenreihen und -kübel oder zumindestens durch Poller (genauso, wie es das Berliner Mobilitätsgesetz in Paragraph 43 vorschreibt).
Quellen und Links:
Einweihung des Popup-Radweges an der Kantstraße (20.06.2020)
Wissenschaftliche Studie zum Design von Radwegen und der gefühlten Sicherheit von FixMyBerlin.
Erste Umfrage des Volksentscheids Fahrrad zur gefühlten Sicherheit von Berliner Radwegen: