Baumproteste – ein Überblick über Aktionsformen

Bäume werden in Berlin noch viel zu oft übersehen – nicht von den Menschen, die sie lieben, sondern von denen, die über sie entscheiden. In Planungsbüros, Verwaltungen oder Bauunternehmen haben sie selten den Stellenwert, den sie für das Stadtklima und die Lebensqualität verdienen. Eine Planung ohne Fällung wird kaum geplant und in de Abwägung diskutiert. Die Nachbarschaft erfährt meist zu spät von geplanten Eingriffen – oft ist es dann zu spät. Und es geht selten nur um einen Baum, sondern oft um Dutzend. Deshalb braucht es kreative, sichtbare Baumproteste. Mit dem Volksentscheid Baum haben wir erste Zeichen gesetzt – vom Marx-Engels-Forum bis zum Tempelhofer Damm. Gemeinsam mit Nachbarinnen und Anwohnern entsteht nun ein neuer Raum für Protestformen – weit über Plakate hinaus.
1. Die klassische Demo – am Baum, für den Baum: Klar und wirksam: Demos mit vielen Beteiligten, Presse, guter Planung und klarer Botschaft. Ob werktags im Berufsverkehr, um hinter den Kulissen Woche für Woche, Monat für Monat den Druck zu erhöhen, oder am Wochenende für Familienfreundlichkeit (z. B. sonntags 13:00 Uhr, nach dem späten Frühstück und vor dem Mittagsschläfchen der Kleinkinder) – Hauptsache sichtbar und viele. Die Protest-Demonstration ist als Versammlung bei der Versammlungsbehörde anzumelden. Und dann gilt es: mobilisieren, Bündnispartner gewinnen, damit möglichst viele kommen.
2. Baumpicknick – Protest mit Stil: Wer sagt, Widerstand darf nicht charmant sein? Der Baum wird zur Picknickzone. Mit hübscher Kleidung, Sektgläsern, Snacks und einem Megafon wird gefeiert, was verteidigt werden soll: der Baum. Ob im Geäst oder auf der Picknickdecke darunter – das Bild bleibt hängen. Für manche mag es albern wirken, doch es zeigt: Dieser Baum ist uns wichtig. Und er ist nicht allein. Wer sich in den Baum traut – bitte auf einen stabilen Baum achten, mit breiten, stabilen Ästen, und alle Teilnehmenden den Haftungsausschluss erklären. Wenn der Baum im Straßenland steht, sollte es als öffentliche Versammlung angemeldet werden. In Parks muss ggf. in der Parkordnung geschaut werden. Hauptsache, ihr habt Spaß und haltet ein paar begeisterte Redebeiträge.
3. Fäll-Kandidaten sichtbar machen und Bäume personifizieren: In der Regel fährt man teilnahmslos an Bäumen vorbei und weiß gar nicht, dass Planer schon das Todesurteil gefällt haben. Umso wichtiger ist es, diese Kandidaten sichtbar zu machen. Das kann mit Gehäkeltem, einer farbigen Schleife, einem DIN-A4-Plakat (so dass man es auch aus dem Auto lesen kann), Aufklebern etc. passieren – Hauptsache, die Passanten erfahren, worum es geht. Ideal: ein QR-Code oder Link zu weiteren Informationen oder einem Protestverteiler, damit man direkt ins Protestteam einsteigen kann.
4. Baumpatenschaften: Wenn Bürger*innen symbolische Patenschaften für je einen der Fällkandidaten übernehmen, stärkt das den politischen Rückhalt. Gebt dem Baum einen persönlichen Namen, damit klar wird, dass er ein Lebewesen ist – und keine Betonkulisse, die man beliebig verschieben kann. Man kann „Rette mich!“-Schilder anbringen oder den Baum mit rot-weißem Flatterband umwickeln. Entscheidend ist: Es muss klar werden, dass jemand diesen Baum persönlich meint, wenn es ernst wird.
5. Sitzaktionen & Video-Statements: Nicht jede muss auf einen Baum klettern. Eine eindrückliche Aktion kann auch direkt am Stamm stattfinden: setzen, Schild hochhalten, kurze Statements filmen und online stellen. Die Mischung aus persönlichem Protest und digitaler Verbreitung schafft Reichweite – und Aufmerksamkeit für den Baum vor der Haustür. Das kann jeder ruckzuck machen. Und wer weiß: Manchmal findet es schneller Nachahmer, als man denkt. Den Link kann man verbreiten und drei Freundinnen wie bei der Ice-Bucket-Challenge auffordern, ebenfalls ein Protest-Statement oder einen „Liebesschwur für den Baum“ zu veröffentlichen.
6. Online-Petitionen oder offene oder vertrauliche Briefe: Mit Online-Petitionen bewirkt man vor allem eines – nämlich einen sehr bequemen Newsletter-Verteiler über Anbieter wie openPetition, Innit und WeAct (politisch bewirken sie oft nicht viel). Ein höflicher, offener Brief, idealerweise in die Medien gebracht, kann zum politischen Thema werden – aber auch da reagiert der schlaue Politiker oft nicht. Wirksamer sind persönliche Briefe an die zuständigen Adressatinnen: die „Baum“-politischen Sprecher, Bezirks- oder Parteivorsitzenden, Staatssekretärinnen, Bürgermeisterinnen, Senatorinnen oder Abgeordnete. Meistens wird geantwortet – und man lässt der anderen Seite die Chance, sich positiv als Baum-Heldin zu positionieren. Der offene Brief verhindert genau das, denn wer will schon willfährig von Aktivistinnen in den Ring geschubst werden?
7. Baum-Besetzungen: Bergerfahrene Hochgebirgskletterer wissen, wie man in der Steilwand nur an Haken und Seil übernachtet – das geht auch im Baum. Dazu noch eine angemeldete Dauer-Demo: eine feine Sache. Ganz sicher wird sich die Nachbarschaft zunehmend interessieren, vor allem wenn man unten Plakate und Hinweisschilder drapiert. Die illegale Baumbesetzung ist nicht jedermanns Sache, vermutlich auch strafrechtlich relevant, und erlaubt den „Baumkillern“, den bürgerlichen Protest als extremistisches Aktionsgesocks abzustempeln. Es kann aber auch das letzte Mittel der Wahl sein – wie Beispiele immer wieder zeigen.
8. Symbolische Pflanzaktionen & Guerilla Gardening: Das heimliche oder auch genehmigte Anlegen von Beeten rund um den Baum kann ein Zeichen von Protest und Stadtgestaltung sein – und aktiviert die Nachbarschaft. Es verändert nach und nach das Bild und macht den politischen Preis höher, wenn Baum und Garten beseitigt werden sollen.
Was zählt: Ob mit Megafon im Geäst oder auf der Decke unter dem Baum – kreativer Protest zeigt: Wir schauen nicht mehr weg, wir schauen hin. Bäume sind keine Verfügungsmasse oder Planungsfälle. Wer sie fällt, fällt auch Vertrauen in die Stadtplanung – und fördert Politikverdrossenheit.
Gerade jetzt, in Zeiten von Hitze, Dürre und schleichendem Klimawandel, wird es Zeit, dass Politik, Planer und Verwaltungen Bäume mehr und anders wertschätzen – ihren vollständigen Erhalt als Planungsoption ernst nehmen und jeder vorschnellen Fällentscheidung das Leben schwer machen.
Planen ohne Fällen – das ist das Kredo. Und wenn nötig: protestieren, picknicken, posten.